Zuflucht der Dunklen Bruderschaft
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Ära des Zwists, Teil I

Erinnerungen einer Protoss-Bewahrerin aus der Ära des Zwists



Entsetzen, Qual, Verlust – schmerzender, reißender Verlust – nein, nein, sie durften nicht gehen, sie waren überall, überall...

Der Körper warf sich hin und her, die Haut war fleckig und heiß vor Furcht und Wut. Was würden sie tun? Wie konnten sie gehen? Allein, allein, so allein!
"Es ist deine Schuld! Du bist der Grund, weshalb sie uns verlassen haben! Jetzt sind sie fort, fort..."

Finger schlossen sich um einen Stein. Schleuderten ihn wuchtig dem tobenden anderen entgegen. Gebrochener Schädel, verspritztes Blut. Gut, es war gut, und er sprang und riss mit scharfklauigen Händen bis das warme Blut sein Gesicht badete...



Es bewegte sich himmelwärts, das Heim, das flog und die Ihan-rii, die Großen Lehrer, die Schöpfer, die Wächter, davontrug, für immer fort.


Dutzende geschmeidiger, purpurner blaugrauer Gestalten sprangen in die Luft – im aussichtslosen Versuch, es zurückzuhalten und klammerten sich an die wunderschönen Kristalle, deren Kanten so scharf wie Shikmas waren.


Das Heim, das flog, stieg weiter auf, seine Insassen blieben ungerührt sowohl von dem Betteln und Flehen jener, die sie verehrten, als auch von dem Zorn und der Rage der anderen, die sie tot sehen wollten.


Hände, schlüpfrig geworden von Blut, verloren ihren Halt, und die panischen Wesen stürzten zu Boden, fielen zu tief, um überleben zu können, schlugen mit hässlichen Geräuschen auf, die jedoch übertönt wurden von dem überwältigenden Lärm des davonfliegenden Gefährts und dem quälenden, geistigen Getöse, das Temlaa den Schädel zu zerreißen drohte – genau wie der Schmerz in seinem Herzen ihm den Geist zerfetzen wollte.


Nein, nein, sie durften nicht gehen, sie waren alles, alles...!
Von Verzweiflung übermannt, fiel auch Temlaa zu Boden, um sich schlagend, seine dunkelblaue Haut fleckig und heiß von blind machender, erstickender Angst und Wut. Was würden sie tun?
Wie konnten sie nur gehen?


Allein, allein, so allein...



"Es ist deine Schuld, Shelak!"
Temlaa krallte die Finger ins Erdreich, zog Furchen hinein, wühlte es auf vor Angst und Qual. Sein Kopf ruckte hoch ob der im Geiste erfolgten Anschuldigung. Er kauerte auf dem Boden, zitternd, Hände und Füße tief hineingegraben, und starrte den Furinax an, der es gewagt hatte, dies zu denken.
"Du bist der Gund, weshalb sie uns verlassen haben! Jetzt sind sie fort, fort..."
"Uns? Wir haben ihnen stets gedient!" Es war Temlaa's Blutsverwandter Raamar, der mit einer geistigen Erwiderung auf die üble Verleumdung antwortete. Raamar richtete sich zu voller Größe auf. Die um seinen Hals gebundenen Knochen klapperten unter der Geste, und seine Hände schlossen und öffneten sich, als wollte sie sich um den Hals des Furinax schlingen...


"Gedient?" Der Kopf des Furinax schnellte auf und nieder, seine Nervenstränge peitschten, eine Geste absoluter Verachtung. "Ihr habt sie vertrieben, mit eurem Drängen, mit eurer lächerlichen Betatscherei, eurem..."


Temlaa's Finger schlossen sich um einen Stein. Er stand auf, nahm Maß und schleuderte ihn in Richtung des tobenden anderen. Reine Ektase durchlief ihn wie ein Schauer, als der Stein den Schädel brechen ließ. Mitten in seiner Tirade begann der Furinax zu wanken, Blut und Hirnmasse spritzten auf.


Gut, das war gut, und Temlaa sprang und schlug mit klauenbewehrten Händen zu, bis das warme Blut sein Gesicht badete....


Er rannte, rannte auf kräftigen Beinen, die ihn vorantrieben, manchmal ließ er sich auf alle viere fallen, das feuchte Gras streichelte über seinen fast nackten Leib – sie waren hinter ihm her, sie attackierten ihn mit geistigen Schreien, die ihm das Blut gefrieren lassen sollten, ihn aber nur wütend machten, er...




Temlaa rannte. Sein Geist war erfüllt von Hass und durchzogen von einem Hauch – nur einem Hauch – von Angst. Neben ihm rannten zwei andere Shelak. Starke Beine trieben sie voran, kräftige Zehen gruben sich in den Boden und halfen ihnen, mit jedem Schritt einen Satz zu machen. Manchmal fielen sie auf alle viere nieder.


Er und sein Artgenosse, Savassan, rannten durch hohes Gras, das über fast nackte Körper strich, die mit großen, ovalen Blutflecken bedeckt waren. Heute riefen sie den Geist des Kal-taar an, der schnell und schlank und geschmeidig und klein war und dessen Leben davon abhing, wie flink er durch das Gestrüpp eilte. Der Kal-Taar war kein Raubtier, aber kein anderes Geschöpf war schneller. Temlaa sah das kleine Tier vor seinem geistigen Auge und fühlte, wie dessen Geist ihn durchflutete, so wie sein Blut ihn zierte.


Sie wurden verfolgt, wie die Kal-Taar verfolgt wurden. Verfolgt von jenen, die sie töten und ihr Blut als Farbe verwenden würden. Und auch ihr Leben hing davon ab, wie schnell sie jetzt rannten. Temlaa drehte den Kopf und schaute über die Schulter nach hinten. Er brauchte seine Feinde nicht zu sehen, denn ihre Gedanken attackierten ihn – ihre Drohungen, ihre Gier zu töten.


Aber er wollte sie sehen. Und er sah sie, erhaschte flüchtige Blicke auf etwas Graues inmitten des kräftigen Grün des Grases. Etwas mit glühenden Augen, das ihn mit mentalen Schreien attackierte, die ihm das Blut in den Adern erstarren lassen sollten – ihn stattdessen aber nur wütend machten.


Es bedurfte Temlaa's ganzer Selbstbeherrschung, um sich nicht auf alle viere niederzulassen, herumzuwirbeln und seinen Verfolgern die Kehle zu zerfetzen. Aber das war es nicht, was er tun sollte. Dies war seine Weihe. Er musste seine wahren Gedanken vor seinen Feinden abschirmen. Er durfte nicht seiner eigenen Blutgier zum Opfer fallen.


Er blickte wieder nach vorne und sprang in hohem Bogen über den riesigen Stamm eines umgestürzten Baumes. Er landete in geduckter Haltung und rannte kaum langsamer geworden weiter. Seine Verfolger passierten den Baumstamm einen Herzschlag später. Sie schlossen auf, und Temlaa verspürte Panik, sie schlossen auf, würden die anderen rechtzeitig angreifen, um...


"Temlaa! Kontrolliere deine Gedanken!"
Savassans Rüge war grob und schmerzhaft. Temlaa verstand, er war entsetzt über seinen Fehler. Er hatte alles preisgegeben! Hinter ihm kamen die verfolgenden Furinax schlitternd zum Stehen, scharten sich zusammen und wandten sich zur Flucht. Aber es war zu spät. Zwanzig Shelak fielen aus dem dunklen, bedrohlich hohen Blätterdach des Dschungels auf die anderen Protoss hernieder.


Temlaa machte kehrt und schloss sich seinen Artgenossen an, stürzte sich auf die Furinax und setzte seine scharfen Krallen ein, um den Feinden die Bäuche aufzuschlitzen. Seine Haut kannte den Geruch frischen Blutes und feuchter Erde, den Geruch von Blumen und Verwesung.
Es tat gut zu töten, die Blutgier durch seine Adern pulsieren zu spüren.


Telkar, der Anführer der Shelak wandte sich mit glühenden Augen an Temlaa.
"Temlaa, du hättest beinahe alles verdorben!" Temlaa zuckte zurück. "Ich weiß. Ich werde es beim nächsten Mal besser machen. Ich werde disziplinierter sein."
"Temlaa beging seinen Fehler erst, als wir sie schon nah genug herangelockt hatten", sagte Savassan. "Er hat sich gut geschlagen für sein erstes Mal."


Temlaa sah den älteren Protoss dankbar an. Telkar kniff seine Augen zusammen. "Beim zweiten Mal wirst du es besser machen, Temlaa", sagte er, "sonst wird es kein drittes Mal geben.
Temlaa wollte vor Glück herumspringen und tanzen. Er würde ein weiteres Mal mit auf die Jagd dürfen! "Nur die Jungen verbreiten ihre Gedanken, ohne sich darum zu scheren, wer sie hört", fuhr Telkar fort. Du musst lernen, zu kontrollieren, was du aussendest... und zu filtern, was du aufnimmst."


Trotz dieser Worte trat Telkar vor und legte seine Hand gegen Temlaa's Kopf. Das Blut des getöteten Furinax war warm und klebrig. Temlaa wand sich vor Stolz.
"Dies ist das Blut derer, die uns vernichten wollten. Vernichten wollten, was noch übrig ist von den Ihan-rii. Es ist gut, dass sie tot sind. Trage das Zeichen deines Kampfes mit Stolz, bis die Zeit kommt, da du wieder jagst."


Der Anblick des hingestreckten Körpers auf dem fruchtbaren Boden, der jetzt vollgesogen war mit dem Blut der gefallenen Feinde, weckte in Temlaa nur Frohlocken. Wenn die Blutgier und die Freude, die ihn nun durchströmten, allein vom Tod der Furinax' herrührten, nun, dann lag das schlicht in der Natur der Dinge begründet. Der Natur, ein Protoss zu sein


Temlaa spürte, wie Savassan sich neben ihm unbehaglich regte, seine Gedanken waren purpurn und dunkel, mit einem Hauch von Bedauern. Ihr Anführer sah Savassan streng an. "Die anderen verstehen uns nicht", sandte er. "Sie vernichten, was sie nicht verstehen. Gäbe es sie nicht, wären wir in der Erfüllung unserer Bestimmung sehr viel weiter."


Savassan senkte in resignierender Geste den Kopf. "Ich nehme an, du hast Recht. Und ganz gleich, um welchen Preis, aber die Dinge, die uns die Ihan-rii zur Entdeckung hinterlassen haben, müssen geschützt werden." Temlaa wandte seine Aufmerksamkeit ab von den toten Feinden und richtete sie auf das wunderbare Artefakt, das diesen Ort so heilig machte, so unantastbar, so des Schutzes bedürftig, den der Stamm der Shelak bieten konnte.


Es war einmal, so hatte man ihm erzählt, größer gewesen als jetzt. Tief in den Boden gerammt von einer Kraft, die so mächtig war, dass Temlaa sie kaum begreifen konnte, hatte es stolz gen Himmel geragt. Aber der Zahn der Zeit und die hasserfüllten Angriffe der anderen, ignoranten Protoss-Stämme, wie die Furinax einer waren, hatten es beschädigt. Nun war es nur noch der abgebrochene Stumpf eines schlanken, nachtschwarzen Holms, in den seltsame Dinge eingekratzt waren. Wenn es von ehrfurchtsvollen Händen berührt wurde, leuchteten und schimmerten die eingeritzten Dinge, und ein angenehmer Laut vibrierte dem Tastenden über die Haut.


Aber es stammte von den Großen Lehrern, den Schöpfern, den Wächtern, und das machte es wirklich kostbar. Das machte es den Shelak heilig und wert, es mit ihrem Lebensblut zu verteidigen. Nur war es heute nicht ihr Lebensblut gewesen, das vergossen worden war, um das Erdreich zu tränken – sondern das Blut ihrer Feinde. Und das war gut.




Wir Protoss folgen einer Lehre, die wir Khala nennen, und die von uns verlangt, dass wir alle unsere Gedanken und Gefühle vereinen, damit wir nicht viele, sondern eins sind. Aber selbst in unserem Volk gibt es Einzelne, die allein bleiben möchten. Vor langer Zeit nannten wir sie die Dunklen Templer, aber kürzlich fanden wir heraus, dass sie vielleicht gar nicht so dunkel sind.



Blut. Wut. Hass auf sich selbst, auf andere, auf die Ihan-rii...
Nein, nein, wir lieben sie, wir dürfen sie nicht hassen dafür, dass sie uns verlassen. Wir sind voller Makel, wir sind voller Makel....


Diesmal trug Temlaa den Leichnam des toten Feindes, als er und Savassan durch den Dschungel zur Höhle der Omhara marschierten. Die Sonne ging unter, und der Dschungel erwachte zu seiner wahren Lebendigkeit. Geräusche vibrierten über seine Haut, Gerüche erfüllten ihn und fluteten über ihn hinweg, während Temlaa vorsichtig weiterging, den toten Protoss wie ein Kind auf den Armen. Erst jetzt war es der Akilae wert, sanft behandelt zu werden, denn erst jetzt war er den Shelak von Nutzen. Denn nun war der Akilae eine Opfergabe.


Er sah mit Temlaa's Augen auf den Toten hinab, den er trug, und ihm wurde schlecht. "Sind das... ist er wirklich ein Protoss? Er sieht überhaupt nicht so aus wie auf den Holovids." Er erinnerte sich an die Bilder von strahlenden, präzisen, kontrolliert agierenden Kriegern in schützender Rüstung. Selbst das zerstörte Schiff Zamaras, das er gesehen hatte, strahlte Eleganz und Dominanz aus.


Diese Dinge hingegen, die hier herumrannten, wild und tödlich, bemalt und bedeckt mit Knochen und Federn... Zamara wischte solche Gedanken beiseite. "Das sind unsere Ursprünge", sagte sie. "Von hier stammen wir. Es ist wichtig, dass du begreifst, was wir einmal waren, damit du verstehst, wie wir wurden, was wir sind."
"Es geht nicht um das Erzählen. Es geht nicht einmal um das Zeigen. Es geht nur um... das Sein."


Temlaa's Schritte wurden langsamer, während er sich der Höhle der Omhara näherte. Er wandte sich mit geweiteten Augen an Savassan, und Savassan sandte ihm einen beruhigenden Gedanken. Nicht zum ersten Mal dachte Temlaa darüber nach, wie andere Geschöpfe Nahrung fanden. Für die Protoss war es einfach – der Weiße Kreis der Nacht und die Goldene Kugel des Tages erwiesen den Protoss ihre Gnade und nährten sie. Ihr Licht und das ihrer Kinder – kleinere glitzernde Himmelsjuwelen, die bei Nacht erschienen -, war alles, was die Protoss brauchten, um zu gedeihen. Andere Wesen töteten für ihre Nahrung. Manchmal beneidete Temlaa sie. Wie gut es doch täte, das Fleisch eines gefallenen Feindes zu nehmen, um es sich einzuverleiben. Wie ließe sich größere Überlegenheit gegenüber dem Gegner demonstrieren als durch den Verzehr desselben?


Die Omhara knurrte in ihrer Höhle. Temlaa's Gedanken konzentrierten sich augenblicklich.
"Sei vorsichtig", sandte Savassan. "Sie kann deine Furcht wittern. Lege deine Opfergabe nieder, bedanke dich und dann geh."


Nervös tastete Temlaa mit seinen Gedanken um sich und berührte die der Omhara. Sie war primitiv, nieder, schlicht, aber sehr stark und ganz auf ihn fixiert. Temlaa konnte den Atem der Omhara hören und in der Dunkelheit der Höhle ihre drei schimmernden Augen sehen.


"Omhara, oh du Große, geschmeidig von Gestalt und scharfen Zahnes, wir bringen dir dieses Opfer dar, das wir getötet haben. Möge sein Fleisch dir munden und..."
Ein Huf berührte mit leisem Geräusch den Boden. Sie kam.


"... und mögest du uns deinen Segen geben", beendete Temlaa seinen Satz rasch und wich zurück. Er spürte die Gedanken des Dings, neugierig, konzentriert, angespannt. Jetzt witterte es das Opfer, und seine Gedanken drehten sich einzig um Hunger und Fressen.


Er erhaschte in den düsteren Schatten einen flüchtigen Blick auf die Omhara, während er und Savassan in Sicherheit eilten. "Das hast du gut gemacht", sagte Savassan. "Ich bin froh, dass ich sie nicht angreifen musste. Sie ist trächtig."
"Wirklich?"
Savassan lachte, schloss halb die Augen und neigte den Kopf auf eine Weise, die unter den Protoss sanften, freundlichen Humor zum Ausdruck brachte. "Du hast noch viel zu lernen, wenn du die Gedanken von etwas lesen willst, das anders ist als du selbst."


"Das mag wohl sein. Aber ich werde es schon noch lernen", sagte Temlaa mit einem Anflug von Hochnäsigkeit. "Ich bin ein Shelak. Wir sind die Auserwählten der Ihan-rii. Diejenigen, die sie auf Aiur über alle anderen erhoben haben, um sie zu formen und zu schützen."
"Wir wurden auserwählt, aber wir wurden auch verlassen", erinnerte Savassan ihn. "Und das ist es, was mich fortwährend daran denken lässt, dass wir unseren Hochmut zügeln müssen. Nur wenn wir herausfinden, warum die Ihan-rii uns erst erwählten, um dann unzufrieden mit uns zu werden, können wir angemessen urteilen."


Die Ansicht, die Savassan damit zum Ausdruck brachte, war es, wie Temlaa glaubte, was so viele verwirrte. Augenblicklich wünschte er, den Gedanken nicht gedacht zu haben. Savassan erwiderte in Temlaa's Geist: "Natürlich, natürlich. Und doch lassen sie mich herumstochern und suchen und fragen."Es gibt nur wenige unter den Shelak, die mehr respektiert werden als du", erwiderte Temlaa, und das stimmte. Savassan nahm die Bemerkung als die Tatsache hin, die sie war.


"Ich frage mich manchmal, ob das Herumstochern und Suchen nicht genau der Grund ist, weshalb ich respektiert werde, obwohl es die meisten verwirrt." Temlaa schämte sich und schirmte seine Gedanken ab. Savassan wechselte das Thema. "Ich mag diese Zeit des Tages", sandte Savassan an den jüngeren Protoss. Dunst lag dicht und schwer in der Luft. Die Erde unter ihren bloßen Füßen war feucht, während sie in großen Sprüngen heimwärts liefen. "Es ist eine Zwischenzeit... eine machtvolle Zeit. Nicht mehr wirklich Tag, aber noch nicht Nacht. Die Artefakte sind ebenso. Sie sind Zwischendinge. Sie sind stofflich solide, real... und doch mehr als nur das."


Erregung durchflutete Temlaa. Er liebte es, wenn Savassan von den Artefakten sprach. Niemand wusste mehr über die geheimnisvollen Relikte als Savassan. Temlaa wusste, dass es Savassan bekannt war, wie der jüngere Protoss nach Wissen gierte. Er wollte mit Savassan arbeiten, ein Hoher Hüter der Geschichte werden, so unvollständig und brüchig sie auch sein mochte.


"Bitte... erzähle mir mehr..."


Savassan wandte sich ihm zu. Seine großen Augen blinzelten nicht, als seine Gedanken die von Temlaa sondierten. "Ja... ja, ich glaube, du bist bereit, um mehr zu erfahren. Ich habe eine Theorie, über uns, über die Artefakte. Ich glaube... ich glaube, auch wir, die Protoss, befinden uns in einem Zwischenstadium. Wir sind nicht mehr, was wir waren, und wir sind noch nicht, was wir werden sollen. Und doch ist beides in uns. Die Relikte, die Artefakte... ich denke, sie haben uns eine Geschichte zu erzählen." "Aber... das sind keine Lebewesen. Sie denken nicht. Sie haben nicht einmal Münder wie die niederen Wesen, um zu kommunizieren. Wie sollten sie uns etwas erzählen können?" Savassan lachte wieder. "Ach Temlaa, wie so viele unseres Volkes nimmst auch du alles zu wörtlich."


Temlaa zog beschämt den Kopf ein. Savassan legte ihm in einer freundlichen Geste die Hand auf die Schulter. "Daran ist nichts Falsches. Aber ich glaube, du kannst mehr begreifen, als das, was unser Volk bislang begriffen hat. Ich glaube, diese Artefakte beherbergen irgendwie... Wissen."


Sie hatten die Stelle erreicht, an der sie ihre Waffen versteckt hatten, ehe sie zur Omhara gingen, und Savassan hob seinen Speer auf. Temlaa folgte ihm; Neugier stieg in ihm auf. Savassan hielt seinen Geist sorgsam leer, bis auf eines, das er ihm übermittelte: "Ich möchte, dass du dies ohne irgendwelche Hilfe von mir siehst, Temlaa."


Temlaa atmete kaum, als er Savassan zu einem Fleck feuchter Erde folgte. Das Licht schwand, aber die Augen eines Protoss waren scharf, und Temlaa war so konzentriert, dass alles fast schmerzhaft deutlich hervorstach. Savassan bückte sich, strich den Flecken Erde glatt und entfernte alle Steinchen und jeden Grashalm. Er blickte zu Temlaa hoch und dann wieder zu Boden. Den Speer umklammernd begann er, die Spitze durch das Erdreich zu ziehen.


Formen erschienen, Linien folgten der Speerspitze. Temlaa sah stirnrunzelnd zu. Ein Kreis, in dem sich zwei kleinere Kreise befanden. Zwei Linien verliefen von dem Kreis aus nach unten und trafen auf eine dritte. Vom unteren Teil dieser Figur verliefen zwei Linien in der Waagrechten, ebenso vom ersten Kreis aus, und eine weitere Linie verlief in der Senkrechten.


Temlaa's Herz raste, als Savassan sich ihm zuwandte, die Gedanken immer noch sorgfältig abgeschirmt. Was hatte das zu bedeuten? Savassan wollte offensichtlich, dass er etwas schlussfolgerte aus dieser seltsamen Ansammlung von in den Boden gekratzten Linien. Aber was?
Panik wollte sich seiner bemächtigen. Dies war eine Prüfung, das wusste er, und wenn er sie nicht bestand, würde Savassan womöglich zu der Meinung gelangen, er sei weiterer Erleuchtung nicht wert. Dabei wollte Temlaa unbedingt mehr erfahren.


"Sieh mich an", sagte Savassan in Temlaa's Geist. Temlaa hob den Blick von den Zeichen am Boden und sah den älteren Protoss an. Savassan stand kerzengerade. Vor Temlaa's Augen hob Savassan die Arme und streckte seinen Speer aus. "Und nun schau auf die Symbole. "Siehst du es?"
Die Enttäuschung traf Temlaa wie einer jener sturzbachartigen Regengüsse, die das Land manchmal ertränkten. Was anderes als bisher sollte er denn sehen? Er riss den Blick los von dem starr dastehenden Älteren und richtete ihn auf die Zeichen, die Savassan in den Boden geritzt hatte.


Seine Augen weiteten sich. Savassan, kerzengerade dastehend... sein Kopf ein Kreis mit zwei weiteren Kreisen darin. Seine Beine zwei senkrechte Linien, seine Arme zwei waagrechte Striche, sein Speer ein senkrechter! Temlaa zitterte, kniete nieder und streckte behutsam eine knorrige Hand aus, um die Linien im Sand zu berühren, als könnte er sie sich so besser einprägen.


"Das bist du", dachte er. "Savassan... du hast dich selbst gezeichnet!"


"Ich wusste, dass du es verstehen würdest!" Der Gedanke dröhnte so laut durch Temlaa's Kopf wie das Brüllen der Omhara bei Nacht. Savassan legte dem jüngeren Protoss eine Hand auf die Schulter und drückte anerkennend zu. "Man kann ein... ein Bild, eine Darstellung von allem in den Boden zeichnen. Sieh nur." Ebenso erregt über Temlaa's Fähigkeit zu sehen, wie es Temlaa selbst war, malte Savassan weitere Linien ins Erdreich. "Das ist ein Baum", sagte er.


Nun, da Temlaa das Konzept begriffen hatte, war es, als hätte ihm bisher eine Hand die Augen zugehalten, die nun nicht mehr da war. Temlaa erkannte augenblicklich einen Baum in dem, was vor nicht allzu langer Zeit noch sinnlose Striche für ihn gewesen wären. "Und das ist die Sonne... und das ist der Teich." "Ja... ja, Savassan, ich sehe es, ich erkenne alles!"


"Weißt du noch, was ich vorhin sagte? Dass ich glaube, die Relikte der Ihan-rii hätten uns eine Geschichte zu erzählen?" "Ja, und ich erwiderte, die Relikte könnten nicht denken noch hätten sie einen Mund, um zu sprechen. Es... es war dumm von mir, das zu sagen."
"Ganz und gar nicht. Dies ist etwas, das unser Volk bisher nicht begriff – dass Kommunikation keiner Gedanken bedarf, um verstanden zu werden, noch nicht einmal Laute braucht. Nur Bilder. Etwas, das man an einem Ort hinterlassen kann, wo es dann von jemandem verstanden zu werden vermag, der darüber stolpert – wenn derjenige, der sie hinterlassen hat, vielleicht nicht einmal in der Nähe ist. Eingefangene Gedanken sozusagen. Eingefangene Laute und Bedeutungen.


Auf diese Weise, glaube ich, werden die Ihan-rii uns ihre Geschichten erzählen."
Temlaa hockte sich hin, regelrecht erschüttert von der Eröffnung. Jetzt erinnerte er sich lebhaft an die Bilder all der Artefakte, die er gesehen hatte. Es waren sonderbare Muster in sie hineingeschnitzt, auf dieselbe Weise, wie Savassan seine Zeichen in den feuchten Erdboden geritzt hatte. Aber die Zeichen auf den Artefakten würde niemals vom Regen fortgewaschen oder von Fußspuren ausgelöscht werden. Eingeritzt würden sie vielleicht ewig bestehen.


Wenn sie auf die Jagd gingen, um andere Stämme anzugreifen, schmückten die Protoss sich oft mit Dingen wie Federn, Knochenketten oder kräftigen Farben aus Beeren oder Blut. Aber solche Symbolik bedeutete nichts. Die anderen Protoss hatten den Sprung nach vorne in ihrer Entwicklung nicht vollzogen. Irgendwie gelang es Savassan, Temlaa's Gedanken trotz ihrer Zusammenhangslosigkeit zu lesen, und er nickte.


"Noch nicht. Aber sobald ich beweisen kann, dass meine Theorie zutrifft, werden auch sie verstehen lernen." Temlaa sah abermals hinab auf die eingefangenen Gedanken am Boden. "Es ist aber kompliziert." "Das muss nicht sein. Schau. Wenn du weißt, dass ich das bin", sagte Savassan und zeigte auf das erste Bild, das er gezeichnet hatte, "dann könnte ich auch das sein." Er malte drei Linien: eine senkrechte, die Temlaa nun als vereinfachte Darstellung des Torsos verstand, eine horizontale für Savassans Arme und eine weitere senkrechte, die seinen Speer darstellte.


"Und das könnte der Baum sein... und das die Sonne." Savassan zeichnete eifrig weiter. Alle Symbole waren nun viel schlichter und damit viel schneller zu zeichnen. Und Temlaa verstand jedes Einzelne davon. Die Sonne zog langsam über den Himmel, während die beiden Shelak ihre Köpfe zusamensteckten und Dinge erschufen, die auf fast magische Weise von bedeutungslosen Strichen auf dem Boden zu machtvollen Gedanken wurden. Schließlich reichte das Licht nicht mehr zum Sehen.


"Es ist Zeit, zurückzukehren", sagte Savassan. "Wir dürfen nichts von alldem erzählen, bis wir es vervollkommnet haben. Bis es uns gelungen ist, zu bestätigen, dass das Vermächtnis der Ihan-rii tatsächlich in ihre Relikte gemeißelt ist." Er zögerte.
"Temlaa. Du hast dich mehr als nur würdig erwiesen. Ich könnte zwei zusätzliche Augen und Hände bei meiner Arbeit brauchen. Ich möchte dich gerne als meinen Schüler annehmen. Was sagst du dazu?"


Temlaa schirmte seine Gedanken ab und sah zu Boden. Mit einem Finger zog er Striche ins Erdreich. Er malte sich selbst, wie er hochsprang, die Arme nach oben gereckt, und über ihm stand die Sonne. Er malte sich – in völliger Begeisterung.




Die Ara kamen ohne Vorwarnung.
Und sie kamen in großer Zahl, fielen über die arglosen Shelak her und steckten ihre Unterkünfte aus aufeinandergetürmten Bäumen, Blättern und Häuten in Brand – mit verheerenden Folgen.


Temlaa's Kopf ruckte in die Höhe, als die geistigen Schreie auf ihn einstürmten. Telkar sandte seine Befehle in Gedanken, die ursprünglicher waren als Worte, und sein Stamm kam, um ihnen Folge zu leisten. Mit vor Rauch brennenden Augen ergriff Temlaa sein Shikma und schloss sich den anderen an. Er setzte hinweg über zuckende, blutende Leiber von Männern, Frauen und Kindern, stürzte sich wutentbrannt auf die Ara. Er schnitt, stach, hieb und riss, und das warme Blut zeichnete ihm Spuren auf die Haut. Überrascht spürte er, wie Savassan rief: "Die Relikte! Sie sind nicht unseretwegen gekommen, sie sind wegen der Relikte hier!"


Temlaa's Zögern rächte sich. Eine Ara, die mit gekrümmten Sal'bak bewaffnet war, warf sich auf ihn und traf beinahe seinen Bauch. Er sprang rasch zurück, wich zur Seite und drang mit dem Shikma auf sie ein. Er schlitzte sie auf, dann sprang er über ihre immer noch um sich schlagende Gestalt hinweg, um seinen Freunden zu Hilfe zu eilen. Seinen Augen bot sich ein entsetzlicher Anblick. Die wütenden Ara hatten nicht nur Waffen mitgebracht, um die Shelak zu vernichten, sondern auch Werkzeuge, um die kostbaren Dinge, die sie bewachten, zu zerstören. Eines davon war bereits beschädigt, seine glatte schwarze Oberfläche eingeschlagen von einem Stein, der an einem Stock befestigt war. Ein weiteres war zum Teil aus dem Boden gerissen worden, als mehrere Ara versucht hatten, es umzuwerfen.


Noch während Temlaa seinen Freunden zu Hilfe eilte, tauchten weitere Ara wie aus dem Nichts auf. Savassan hatte Recht gehabt. Der Angriff auf das Dorf war nur ein Ablenkungsmanöver gewesen.
Das wahre Ziel waren die Relikte.


Temlaa stieß einen geistigen Schrei aus und stürzte sich auf seine Feinde. Diese Blasphemie, diese Schändung versetzte ihn dermaßen in Rage, dass er die Verletzungen, die sie ihm beigebracht hatten, kaum spürte. Erst als er seine Waffe fallen ließ und benommen auf seinen blutenden Arm starrte, wurde ihm bewusst, was geschehen war.


Die Ara zogen ihren Kreis enger, um den tödlichen Streich zu führen. Eine huschende Bewegung, und auf einmal war Savassan da und stieß Temlaa mit sanfter Gewalt zurück, sodass er in Sicherheit war. Dann fiel er so zornig über die Feinde der Relikte her, wie Temlaa ihn kaum einmal erlebt hatte. Davon motiviert, rappelte er sich auf und kämpfte weiter.


Schließlich verstummten die geistigen Schreie. Die Feuer brannten lange Zeit, aber auch sie wurden letztlich gelöscht. Man kümmerte sich um die Verwundeten. Die gefallenen Ara wurden voller Verachtung zu Haufen aufgeschichtet, um sie zur Omhara zu bringen. Die ermordeten Shelak wurden dem Ritual folgend gebadet, für die Beisetzung angekleidet und sorgsam in der Erde beigesetzt.


Am nächsten Tag hinkte Temlaa zurück zu den Relikten. Er strich mit einer Hand über die glatte Oberfläche und zuckte zusammen, als seine Finger die Wunde berührten, die die Ara in eine der großen schwarzen Säulen geschlagen hatten. Er neigte den Kopf und trauerte, am ganzen Körper zitternd, und seine Haut wurde fleckig ob seines Schmerzes.


Savassan und Telkar hatten ihre Gedanken abgeschirmt, so wurde er erst auf sie aufmerksam, als er sie auf die Relikte zukommen sah. Telkar wirkte nicht glücklich, aber Savassan machte einen absolut friedlichen Eindruck. Temlaa beruhigte sich und ging ihnen zögernd entgegen.
Die beiden Shelak hoben den Kopf und blickten Temlaa aufmerksam an Er sah von einem zum anderen, und seine Gedanken waren zweifelsohne nicht zu überhören.
"Temlaa", sandte Savassan, "wir müssen die Relikte fortschaffen. Die Ara wissen jetzt, wo sie sind.
Und... ich verlasse den Stamm der Shelak."


Temlaa starrte Savassan entsetzt an. "Nein! Wir brauchen dich!"
"Genau das habe ich ihm auch zu erklären versucht", teilte Telkar mit. "Vielleicht hört er ja auf dich, Temlaa. Auf mich jedenfalls nicht."


Kopfschüttelnd stakste Telkar davon. Temlaa wandte sich Fragen in Gedanken fassend an Savassan.
"Temlaa... du weißt um den Wert der Arbeit, die wir geleistet haben", sagte Savassan. "Du verstehst das mehr als jeder andere Angehörige des Stammes." "Ja, natürlich.", dachte Temlaa zurück. "Es ist klug, die Relikte woanders hinzubringen, auch wenn es schwierig sein wird. Aber warum verlässt du uns?" "Die Gedanken... ich muss meine Gedanken klären. Ich kann nicht bei den Artefakten sitzen und versuchen, offen zu sein für alles, was sie anregen mögen, wenn ich Dutzende von Gedanken im Kopf habe, die sich um Blutvergießen und Gewalt drehen."


"Aber... wir müssen uns verteidigen! Wir müssen die Artefakte vor jenen schützen, die sie zerstören wollen! Das war seit jeher die Aufgabe der Shelak!" Savassan schloss die Augen; er wirkte, als litte er Schmerzen. "Ja, so war es. Und ich pflichte dem bei. Die Shelak müssen kämpfen, sie müssen verteidigen, was die Ihan-rii hinterlassen haben. Aber... das ist nicht länger meine Aufgabe. Nicht mehr. Denn ich habe herausgefunden, dass eine andere vor mir liegt. Ich sage nicht, dass sie größer ist, denn erst das, was der Stamm tut, macht das, was ich zu bewältigen habe, möglich.


Meine Aufgabe ist es nicht, die Artefakte zu verteidigen, sondern sie zu verstehen."
Temlaa sah ihn weiter starr an. "Wo immer wir die Relikte auch hinbringen... dort wird deine neue Heimat sein. Aber was ist mit mir?" Savassan sah ihn mit freundlichen Augen an. Er streckte eine Hand aus und legte sie dem Jüngeren auf die Schulter. "Du, lieber Temlaa, hast eine sehr schwere Entscheidung zu treffen. Du musst dich entscheiden, ob du mit mir kommen oder hierbleiben willst. Du musst dich entscheiden, welchen Weg du gehen willst – den eines Erforschers der Ihan-rii Artefakte oder den eines Kämpfers, der sie beschützt."


Temlaa blickte erst seinen Mentor hilflos an und dann zum Lager zurück. Er sah seine Stammesgefährten zielstrebig umhergehen, ihre purpurnen, glatthäutigen Leiber waren lang, schlank und stark. Sie reparierten Waffen, kümmerten sich um die Toten, besprachen Kriegstaktiken, und sie alle wirkten bestens gerüstet für das Leben, das sie führten.
Er richtete seinen Blick wieder auf Savassan und dann auf die Relikte. Acht hatten sie gefunden und hierher, an diesen Ort gebracht. Einige waren schwarz, mit glatten Oberflächen, andere von der Farbe der Dämmerung; sie schienen zu bestimmten Zeiten des Tages zu leuchten, wenn das Licht sie entsprechend traf. Wieder andere kräuselten und wanden sich in sich selbst, manche waren kräftig und scharfkantig, manche klein, Fragmente nur, andere flache Platten, und wieder andere Kugeln.


Er dachte an das herrliche Spiralgebilde, das die wütenden Ara so schwer beschädigt hatten, an die seltsamen Inschriften, die es aufwies, an die Erleuchtung, die ihn dröhnend durchströmt hatte, als Savassan seine Zeichnungen ins weiche, feuchte Erdreich malte. Und er erkannte, dass seine Entscheidung bereits gefallen war.


"Ich werde mit dir kommen", sagte er. "Die Relikte rufen mich. Das Geheimnis, die Fragen, die sie darstellen – sie brennen mir im Herzen. Ich muss die Antworten darauf erfahren."
Savassan senkte die Lider halb über seine großen, funkelnden Augen und neigte lächelnd den Kopf. "Dann pack deine Sachen, mein junger Schüler. Komm mit, und wir werden die Rätsel der Ihan-rii gemeinsam ergründen. Ich bin sicher, dass nicht einmal die Geheimnisse der Relikte sich lange verbergen können, wenn ihnen eine solche Leidenschaft für Wissen gegenübertritt."
Ein Schauder durchlief Temlaa, als Savassan diese Worte dachte. Und irgendwie wusste er, dass sein Leben im Begriff war, sich auf eine Weise zu verändern, die er sich noch nicht einmal ansatzweise vorstellen konnte.




Auf Savassans Vorschlag hin beschlossen die Shelak, die Relikte nicht länger im Freien stehen zu lassen. Es war zu gefährlich. So waren sie leicht angreifbar und zu beschädigen.
"Auf diese Art und Weise wurde es schon immer gemacht, seit dem Tag der Finsternis, als die Wanderer von Afar gingen und uns hier ließen, auf dass wir bewachten, was zurückblieb", hatte Telkar protestiert. Savassans Blick war fest. "Die Art und Weise, wie es schon immer gemacht wurde, nützt den Relikten nichts mehr. Du bist ein guter Anführer, Telkar. Du wirst den Schutz dieser heiligen Dinge über die Tradition stellen. Die Höhle ist im Falle eines Angriffs leichter zu verteidigen."


Dieser Logik konnte er sich nicht verschließen, und so stimmte Telkar zu. Es würde lange dauern, derart große und schwere Objekte zu transportieren. Aber niemand glaubte, dass das Unterfangen fehlschlagen würde. Während der Transport im Gange war, entschied Savassan, dass er und Temlaa sich auf die Suche nach weiteren Relikten machen würden.
"Es scheint mir nicht richtig, diese kostbaren Dinge zurückzulassen", sandte Temlaa.
"Manchmal muss man etwas für einige Zeit zurücklassen, um es nach der Rückkehr um so mehr zu schätzen zu wissen, Temlaa", sagte Savassan.


Sie entfernten sich viele Wegstunden von ihrer Heimat und marschierten in drei Tagen weiter, als Temlaa in seinem ganzen Leben gegangen war. Savassan hatte das Konzept des Einfangens von Informationen, wie die beiden es inzwischen nannten, noch weiter entwickelt. Sie reisten mit leichten Gepäck und hatten jeder nur eine gegerbte Omharahaut dabei, auf der sie schliefen, sowie Waffen, um sich zu verteidigen, sollte ein anderer Stamm sie angreifen.


Savassan trug ausserdem noch eine dritte Haut bei sich. Temlaa hatte gefragt, warum, aber Savassan hatte nur gesagt: "Das wirst du schon sehen."
An jenem ersten Abend hatte Savassan ein Feuer entfacht. Temlaa war verdutzt gewesen – es war selten, dass man der Kälte wegen eines Feuers bedurfte. "Warum machst du Feuer?", hatte er gefragt. "Es ist doch nicht kalt." Savassan hatte sich ihm zugewandt, die Augen halb geschlossen und den Kopf geneigt, eine Geste, die Belustigung ausdrückte. "Das wirst du schon sehen", hatte er gesagt und damit seine rätselhafte Bemerkung von vorher wiederholt, und er hatte seine Gedanken so vollkommen abgeschirmt, dass Temlaa nicht einmal einen Anflug davon erhaschen konnte.


Savassan hatte nach einem der Stöcke gegriffen, die im Feuer gelegen hatten; das Ende war schwarz verbrannt. Er begutachtete das verkohlte Holz und nickte. "Hol mir eine der Schlafhäute", wies er Temlaa an, und der jüngere Protoss leistete seiner Bitte eilig Folge, auch wenn er nun vollends verwirrt war. Er kehrte zurück und begann, die Haut im Gras auszubreiten, doch Savassan unterbrach ihn. "Nein, nein, Temlaa, mit der Pelzseite nach unten", verlangte er. Temlaa sah ihn irritiert an, tat aber, wie ihm geheißen worden war, und setzte sich dann etwas zur Seite und beobachtete, was weiter geschah.


Der Mond war voll, und dank seines Lichtes und dem orangefarbenen Schein des Feuers konnte man gut sehen. Savassan stand auf und trat vor die helle, steife Oberfläche der gegerbten Haut. Er warf Temlaa einen Blick zu. "Du hast mich bislang mehr als nur einmal beeindruckt, Temlaa. Vermagst du das noch einmal?" Temlaa betrachtete den Stock, dann sah er auf die Haut. Ihn schwindelte, als ihm die Erkenntnis dämmerte.


Savassan hatte mit einer Speerspitze Linien in den Boden geritzt, aber diese Linien waren verletzlich. Eine Handbewegung, ein Fußtritt oder ein Regenguss, und die Symbole wären verloren. Der geschwärzte Stock würde eine Markierung auf der hellen Farbe der Schlafhaut hinterlassen. Die Haut ließ sich zusammenrollen, vor den Elementen schützen und von Ort zu Ort tragen.
Er sah, wie Savassan in erregter Zustimmung nickte, während er dies dachte.
"Ich wusste es. Du bist ein Geschenk der Ihan-rii. Ich frage mich, ob du nicht einer von ihnen bist und dich nur getarnt hast." Temlaa fühlte sich peinlich berührt und zugleich geschmeichelt. Er wusste nicht, was er erwidern sollte. "Aber ich verlange nach einem weiteren Sprung nach vorne von dir. Ich werde nicht die Symbole aufzeichnen, die wir schon kennen. Ich werde niederlegen, was wir gesehen haben, wo wir waren. Ich werde unsere Reise dokumentieren."
"Wie denn?"


"Wir haben uns schon früher hoch über das Blätterdach des Dschungels gewagt." Savassan begann mit dem Stock auf die Haut zu malen. "Wenn wir über dem Erdboden sind, können wir weit sehen. Stell dir nur vor, wie es wäre, ein Vogel zu sein und über allem fliegen zu können. Wie sähe der Boden von dort oben aus?" Temlaa's Blick war auf den Stock fixiert. Savassan zeichnete zwei sich kreuzende Linien. "Das könnte unser Lager sein. Und das", fuhr Savassan fort, "wäre unsere Höhle, in der wir die Relikte verstecken. Und dies hier wäre die Stelle, wo wir heute Nacht schlafen." Er blickte zu Temlaa auf, der sprachlos auf die Zeichnung starrte. "Siehst du?"


Temlaa nickte. Anhand der Zeichnung ließ sich nun der Weg verfolgen, den sie genommen hatten. Wenn sie etwas Bedeutendes entdeckten, konnten sie es auf dieser Haut festhalten. Und wenn sie dann Unterstützung brauchten, konnten sie zum Lager der Shelak zurückkehren, wo sie Hilfe finden würden, um wichtige Dinge zur Höhle zu schaffen. Mehr noch, sollte einem von ihnen etwas zustoßen, wären diese Informationen dennoch dauerhaft aufgezeichnet, und andere könnten ihrer Spur folgen.


Am Ende eines jeden Tages ihrer Reise zeichnete zunächst Savassan und später Temlaa sorgfältig ihre Lagerstätte ein, wobei sie versuchten, die Entferungen angemessen zu schätzen. Sie brachten bestimmte Markierungen ein, anhand derer sich jeder Ort eindeutig identifizieren ließ. Einmal war es eine Höhle, die eine Gegend von anderen unterschied, ein andernmal ein Wasserfall oder zwei Bäume, deren Stämme ineinander verschlungen waren.


Nur einmal stießen sie auf eine kleine Gruppe von Ara. Ihre Witterung stieg Temlaa in die Nase, und er spannte sich an. Blutdurst durchströmte ihn, urtümlich und unmöglich zu leugnen.
Er machte sich auf einen Angriff gefasst, hielt den Speer einsatzbereit, aber Savassans starke Hand schloss sich um seinen Arm und riss ihn zurück. Temlaa fuhr zu seinem Mentor herum. "Das sind Ara! Sie hassen die Artefakte! Sie waren es, die..."
"Das weiß ich!", sandte Savassan zurück. "Aber sie sind in der Überzahl, und wir tragen die Häute mit uns herum. Diese Information festzuhalten ist wichtiger, als ein paar bei einem Angriff zu töten, bevor wir selbst erschlagen werden. Ausserdem sind sie Protoss, genau wie wir."


Temlaa starrte ihn an. Wollte Savassan etwa sagen, dass die Shelak... die Ara, die Akilae, die Furinax und die Sargas als Brüder willkommen heißen sollten? Das Wissen mit ihnen teilen, für das die Shelak so viel von ihrem Blut vergossen hatten beim Versuch, es zu schützen?
Seine Gedanken waren nicht klar ausformuliert, aber Savassan verstand ihn dennoch.
"Letzten Endes müssen wir alles, was wir herausfinden, mit allen Protoss teilen. Es war nie nur für die Shelak bestimmt. Die Ihan-rii wählten uns als Rasse, sie trafen keine Unterscheidung zwischen den Stämmen. Eines Tages müssen wir es ihnen gleichtun."


Der Blutdurst hatte sich unter dem Schrecken über Savassans Worte gelegt. Die Gruppe mit Blut bemalter und geschmückter Ara-Krieger war weitergezogen, ohne zu wissen, dass zwei der verhassten Shelak unweit von ihnen entfernt waren. Der Wind hatte Savassan und Temlaa heute in die Hände gespielt. Temlaa sah ihnnen nach, dann schaute er Savassan an.
"Wann wolltest du mir das eröffnen?"
"Wann immer du mir reif dafür schienst, Temlaa."
Temlaa drehte sich um und sah den in der Ferne verschwindenden Kriegern hinterher.
"Ich glaubte schon, die Ara führten deine Zunge."
"Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Das wird von deiner Reaktion, auf das, was ich gesagt habe, abhängen." Temlaa drehte sich abermals um und sah Savassan an. Sein Bild des Älteren war nun ein anderes. Es wurde nicht mehr durch den verehrenden, unkundigen Blick des Jünglings gefiltert. Er war nun schon seit vielen Wochen mit Savassan unterwegs und hatte ihn kennen und verstehen gelernt. Er hatte vieles angenommen von dem älteren Protoss, und obschon er wusste, dass er noch viel mehr anzunehmen hatte, kam er sich doch eher vor wie ein Gleichberechtigter, ein Gefähte, nicht mehr nur wie der Schüler eines Lehrers.


Er wusste, dass der Rest des Stames, hätte Savassan so etwas vor ihnen zum Ausdruck gebracht, ihn des Verrats bezichtigt hätten. Sie hätten sich womöglich auf ihn gestürzt und ihn mit bloßen Händen zerrissen – oder sie hätten ihm die Kniesehnen zerschnitten und liegen gelassen, blutend und unfähig zu gehen, auf dass die Omhara ihm den Rest gaben.
Oder auch die Ara.


Aber nachdem sich der erste Schreck gelegt hatte, stellte Temlaa fest, dass er verstand, was Savssan zu sagen versuchte. Gewiss, er konnte sich nichts vorstellen, das er mehr hasste als die anderen Protoss-Stämme. Die Shelak waren die Beschützer der Artefakte der Ihan-rii.
Aber was war, wenn die Steine und Werkzeuge und all die anderen seltsamen Gegenstände, deren Zweck sie sich nicht einmal annähernd vorstellen konnten, nicht das einzige Vermächtnis waren, das die Ihan-rii den Protoss an jenem düsteren Tag hinterlassen hatten, als sie in ihre Schiffe gestiegen waren und Aiur für immer verließen?


Was war, wenn die Protoss selbst das Vermächtnis waren? Und wie konnte das gegenseitige Bekriegen dann die Lösung sein?
"Ich wusste, dass ich eine weise Entscheidung getroffen hatte", erklang Savassans Gedanke in Temlaa's Geist. "Aber nicht einmal ich, der ich dein Potenzial erkannte, Temlaa – nicht einmal ich konnte ahnen, wie klar du all dies begreifen würdest. Das Einfangen von Ideen, das wir entwickelt haben... wenn dieses Wissen erst einmal mit anderen geteilt ist, werden wir in der Lage sein, mit unserem eigenen Stamm und auch mit weit entfernten anderen Protoss zu kommunizieren. Und wenn es uns erst einmal gelungen ist, zu entziffern, was die Ihan-rii auf ihren Artefakten vermitteln wollten, müssen wir auch dieses Wissen mit anderen Stämmen teilen. So stolz ich auch sein mag, in den Stamm der Shelak hineingeboren worden zu sein, bin ich doch nicht hochmütig genug, um anzunehmen, dass wir die Einzigen sind, die so denken. Wir hatten das Glück, in einem Stamm zur Welt zu kommen, der solche Dinge unterstützt.


Kannst du dir vorstellen, wie es wäre, wenn du als Akilae oder Ara geboren worden wärst? Wo man dich umbringen würde, wenn du auch nur fragtest, ob wir den Ihan-rii vielleicht doch nicht einerlei sind, wo sie uns doch verlassen haben? Oder wo die Älteren dir vielleicht sagen würden, dass die Großen Lehrer böse waren?"


Das alles war beinahe zu viel für Temlaa. Savassan saß neben ihm, und sie blickten gemeinsam ins Dämmerlicht. Er fragte sich, ob Savassan Recht hatte, ob es irgendwo dort draussen einen Protoss aus dem Stamm der Akilae gab, der in die purpurne Dämmerung aufsah und über die Wanderer von Afar nachsann.


"Wie?", war alles, was er fragte.
Savassan verstand. "Wir vertrauen darauf, dass wir auf dem richtigen Weg sind", antwortete er.
"Wir vertrauen darauf, dass wir Stück für Stück, Schritt für Schritt dabei sind, herauszufinden, was die Ihan-rii für uns im Sinn hatten. Sie haben uns verlassen, Temlaa. Weil wir irgendeinen Mangel hatten. Sie ließen uns zurück. Aber sie hinterließen auch andere Dinge, die Artefakte, die wir so hoch in Ehren halten. Vielleicht können wir, wenn wir das nutzen, was sie zurückließen, auf dem Weg, den sie ursprünglich für uns vorgesehen hatten, weitergehen. Wenn wir erst einmal begriffen haben, was sie wollten, werden die anderen Protoss auf uns hören, das glaube ich aus tiefstem Herzen.


Andere dürsten nach dem, was wir entdecken werden, Temlaa. Sie begreifen nur nicht, was es ist, wonach es sie verlangt. Aber wenn wir es gefunden haben – dann werden wir nicht länger allein sein, das weiß ich."


Das war ein ebenso beängstigender wie beruhigender Gedanke. Es mochte zwar verlockend sein, zu glauben, dass allein die Shelak die alten vergessenen Geheimnisse lüften und sie dann für sich behalten würden. Doch nach Savassans Worten stellte Temlaa fest, dass er dieses Wissen teilen wollte. Er versuchte sich ein Dutzend... nein, hundert Protoss vorzustellen, von jeder Farbe und jedem Stamm, die harmonisch und vereint zusammensaßen.


Er musste einsehen, dass ihm das nicht gelang.


"Savassan..."
"Es braucht Zeit, Temlaa", sagte Savassan sanft in Temlaa's Geist. "Der Heilungsprozess wird sich nicht binnen eines Tages vollziehen. Vielleicht werden wir es nicht einmal mehr miterleben."
"Aber... du glaubst, dass es geschehen wird?"
"Ja", sandte Savassan voller Überzeugung. "Das glaube ich mit jeder Faser meines Seins."




Donner krachte. Wind brachte das Geäst zum Rauschen, und flüsternde, knarrende, ächzende Laute klangen auf. Ein Blitz erhellte die Dunkelheit der Welt unter dem Blätterdach der dicht verschlungenen Bäume und ließ sie scharf hervortreten. Temlaa kniff die Augen, geblendet von der Lichtfülle zusammen, dann wartete er, bis sich sein Sehvermögen wieder eingestellt hatte.
Sein Geist war für die Gedanken der Geschöpfe ringsum weit geöffnet. Dennoch wusste er, das er etwaige feindliche Protoss, die hier ebenfalls Zuflucht suchen mochten, wahrscheinlich gar nicht wahrnehmen würde. Er umklammerte die kostbare Haut feste, presste sie eng an seinen purpurnen Leib, der zitterte, weil er selbst hier unter dem Blätterdach klatschnass geworden war.
Temlaa und Savassan waren dankbarer denn je für ihre Karte...



... des Dokumentierens ihrer Reise, denn sie hatten die Lage von Höhlen und anderen Orten markiert, wo sie die Häute zurücklassen konnten, während sie auf Erkundung gingen. Sie waren aufgebrochen,um einen weiteren solchen Ort in Augenschein zu nehmen, als der Regen sie überrascht hat, woraufhin sie den nächstbesten Unterschlupf aufsuchten.
Nun aber las Savassan Temlaa's Gedanken und übermittelte ihm:
"Wir sollten uns auf den Weg zu dieser Höhle machen." Er zeigte in Richtung eines dunklen Flecks, der sich in den Ausläufern der Hügel abzeichnete. Temlaa nickte, drückte die zusammengefaltete Haut so fest an sich, wie er nur konnte, und gemeinsam eilten sie auf den Eingang zu.


De Begriff "Höhle" war kaum das passende Wort. Tatsächlich war es nur eine schmale Öffnung in einem Erdwall, und während sie darauf zuliefen, bezweifelte Temlaa, dass dieser Ort ihnen mehr Schutz bieten würde als das Blätterdach. Sie erreichten ihn und schlüpften fröstelnd hinein. Temlaa riskierte einen Blick auf die Haut. "Scheint alles in Ordnung zu sein", sandte er, aber Savassans Gedanken trafen ihn wie ein Shikma, und er wirbelte herum.


Es gab kaum Licht, aber vom Eingang her schnitt ein einzelner Strahl regengedämpften Sonnenlichts durch die Dunkelheit und traf auf etwas, das glitzerte.
Langsam bewegten sie sich vorwärts, zwängten sich durch den schmalen Spalt zwischen den Wänden aus Fels und Erdreich, Temlaa immer noch sorgsam darauf bedacht, die Haut und das darauf Geschriebene zu schützen. Dann öffnete sich der Durchgang ganz unerwartet zu einer Höhle, in die die beiden Protoss verblüfft blickten.


Dutzende von Steinen, durscheinend wie Wasser, aber leuchtend wie gedämpftes Licht in grünen, purpurnen und blauen Schattierungen, erhellten die Höhle. Sie waren riesig, so groß wie jedes einzelne der von den Ihan-rii hinterlassenen Relikte, die Temlaa je gesehen hatte. Am Fuße eines jeden dieser Pfeiler aus stofflich gewordenem Licht gruppierten sich, wie Junge, die zu Füßen ihrer Eltern saßen, Dutzende, vielleicht sogar hunderte von kleineren Steinen. Und jeder einzelne war wunderschön, vollkommen. Einige waren winzig, kaum so groß wie Temlaa's Hand, andere hatten die Größe von Speeren.


Der Erdboden unter seinen Füßen fühlte sich leicht erwärmt an.


"So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen. Sie sehen aus wie... wie Säulen aus Licht – oder wie Lanzen." Savassan nickte. "Ich lebe schon lange, aber selbst ich habe so etwas noch nicht gesehen." Er betrachtete die Kristalle, dann trat er langsam, wie magisch angezogen, vor und legte die Hand auf die Oberfläche eines der größten Kristalle, so, wie er es schon so oft bei den Relikten der Ihan-rii getan hatte.


Plötzlich bog sich sein Rücken durch. Jeder Muskel seines Körpers erstarrte. Temlaa stieß einen geistigen Schreckenslaut aus und warf sich auf seinen Mentor, umklammerte ihn in Hüfthöhe und zog ihn fort von den schönen, aber offenbar auch hoch gefährlichen Objekten. Er stolperte auf dem unebenen Höhlengrund, und sie stürzten beide schwer zu Boden.
"Savassan! Savassan, ist alles in Ordnung?"


Savassan antwortete nicht sofort. Temlaa tastete nach seinem Geist, und eine Sekunde lang fand er nichts. Panik wallte in ihm auf. "Savassan!" Savassan blinzelte und berührte augenblicklich Temlaa's Geist, um den verängstigten Jungen zu beruhigen. "Mir fehlt nichts. Ganz im Gegenteil. Ich... Temlaa, die Kristalle... ich habe sie berührt und... es war, als würden plötzlich alle möglichen Gedanken... nein, keine Gedanken.. Gefühle... mich durchströmen. Und da war... etwas..."


Er schüttelte den Kopf, ausserstande, die Worte auch nur zu denken. "Dies wird alles ändern, Temlaa. Alles. Das ist es, was wir zu finden hofften." Savassan erhob sich, scheinbar unverletzt.
"Nur zu, Temlaa. Berühre den Kristall. Erst wirst du ein überwältigendes Gefühl verspüren, aber es wird dich nicht verletzen. Fühle, was ich fühlte... erfahre, was ich jetzt weiß. Du hast dir diesen Augenblick verdient. Nimm ihn dir!"


Auf nur leicht zitternden Beinen überwand Temlaa die kurze Distanz zwischen sich und dem Durcheinander aus leuchtenden Steinen am Fuße der monolithischen Kristalle, die die Höhle füllten, diese Höhle, die sie beinahe übersehen hatten, diesen schlichten Spalt in der Flanke eines Hügels, der zu unscheinbar wirkte, als dass jemand einen solchen Schatz darin verstecken würde.


Er streckte eine zittrige Hand aus und legte sie sanft auf die kühle, glatte Oberfläche. Etwas schlängelte sich in seinen Geist, wand sich – erst kühl und kaum merklich – in und um seine Gedanken. Die Intensität nahm zu, und Temlaa spürte, wie sich sein Körper anspannte...
... als Gedanken, die so unfassbar weit jenseits von Gedanken waren, sich in seinen Knochen festsetzten. Es war mehr als nur Denken, es war Gefühl, es war Empfindung, Emotion. Und ohne recht zu wissen, was er tat, hatte Temlaa sich nach Savassan umgedreht und seinen Geist berührt, derweil er mit einer Hand noch immer den Kristall berührte.


"Ich... ich kann deine Gedanken spüren, Meister", sandte er. Freude und Staunen erfüllten ihn, und er spürte, wie beides auch in Savassans Bewusstsein hinüberspülte, einer Welle gleich, die über das Ufer leckt. Und als verebbe die Flut, genauso fühlte er die Gedanken und Empfindungen zu sich zurückkehren, diesmal gefolgt von Savassans Gefühlen des Schreckens und Entzückens und eine tiefe, tiefe Dankbarkeit für die Chance, sich dieses Geschenk nutzbar machen zu dürfen.


Dann wurde es mit einem Mal zu viel für ihn, und Temlaa ließ den Kristall los. Augenblicklich schwanden all die Gefühle, die nicht die seinen waren, und das Einzige, das seinen Geist streifte, waren Gedanken. Er wankte, ihm war schwindlig, und Savassan fing ihn auf, stützte ihn.
"Ich habe deine Emotionen gespürt", sagte Savassan. Temlaa atmete schnell durch die Nase. Er versuchte, sich zu beruhigen. "Nicht nur deine Gedanken, Temlaa. Deine Gefühle. Und du spürtest meine, das weiß ich."


"Ja", brachte Temlaa hervor. Es fühlte sich so... so distanziert an, nur Worte in Savassans Geist sprechen zu lassen. Er hatte geglaubt, sie verstünden einander, dass sie ebenso Freunde wie Kollegen waren. Aber nun, da es ihnen nicht nur möglich gewesen war, geistig Informationen auszutauschen, sondern auch Gefühle, erkannte Temlaa, wie weit die Protoss voneinander entfernt waren. Ungeschickt formulierte er diesen Gedanken. Savassan nickte.


"Wie furchtbar einsam wie geworden sind! Und... wie seltsam vertraut es sich anfühlte. Nicht für mich persönlich, sondern..." "Als wäre es eine Erinnerung, die tiefer sitzt als unser eigenes Gedächtnis. Als läge es uns irgendwie im Blut."
Die Worte klangen so bizarr. Wie sollte er diejenigen, die so etwas nicht spürten, mit einem so albernen Argument überzeugen können?


"Das werden wir nicht müssen" erwiderte Savassan. "Dies ist, was wir gesucht haben, Temlaa. Ich denke, sie stammen von den Ihan-rii, oder sie sind zumindest irgendwie mit ihnen verbunden. Ich glaube, mit diesen Kristallen können wir die Nachrichten, die auf den Artefakten geschrieben stehen, entschlüsseln. Sie werden uns Dinge lehren, von denen wir nur träumen können... nein, Dinge, von denen wir nicht einmal träumen können. Temlaa – wir wissen gar nicht, wie vieles wir nicht wissen."


Savassan ging abermals zu den Kristallen, doch diesmal berührte er sie nicht. "Hilf mir, ein paar davon aufzulesen. Wir werden mit den anderen Shelak zurückkommen, um mehr zu holen. Damit werden wir arbeiten. Wir können anfangen, die Geheimnisse der Wanderer von Afar zu lüften. Wir werden ihr Wissen kennenlernen, wir werden erfahen, was sie mit uns im Sinn hatten – und wir werden all das werden, was uns bestimmt war."

 
   
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